Aufruf der Überlinger Bürgerallianz
für eine verantwortungsvolle Stadtentwicklung
In den letzten Monaten hat die Stadt mehrere Bau- bzw. Investitionsprojekte angestoßen, die Teile der Bevölkerung ablehnen, und zwar sowohl wegen ihres schieren Umfangs als auch der Art und Weise ihrer oft „betonbrutalen“ Eintönigkeit oder quartiersprengenden Ausführung. Hinzu kam der abweisende Umgang der Stadt mit den Sorgen und Bedenken von Bürgern und betroffenen Anwohnern.
Zu diesen Vorhaben zählen:
- Neubau Volksbank Überlingen (Lippertsreuter Straße)
- Stilllegung des Wasserkraftwerks an Mantelhafen und Verfüllung der Druckleitung
- Neubau Casa Dr. Braun („Laserklinik“) (Aufkircher Straße / Uhlandstraße)
- Planung und Aufstellung Bebauungsplan Telekom-Areal (Langgasse)
- Planung und Aufstellung Bebauungsplan Fischerhäuser Vorstadt (Gartenstraße / Altstadt)
- Planung und Bebauungsplan Hafenstraße
- Planung Hotelprojekt Zimmerwiese
- Projektierter Grundstückstausch Bambergen / Deisendorf
- Bebauung Areal Rauenstein-Park
- Überbauung des Reitplatzes und der Kleingartenanlage an der Rauensteinstraße – Ost sowie der St. Leonhard-Wiese, sämtlich in den Landschaftspark St. Leonhard integrierte und daher nach dem gültigen Flächennutzungsplan dauerhaft bebauungsfrei zu haltende Kompensationsflächen
- Bebauungsplan Nördlicher Amann „Solarthermie-Kraftwerk mit Speicherbehältern“
- Überbauung des Kramer-Areals mit 500 Wohneinheiten
Den meisten dieser Vorhaben ist gemein, dass die Stadt diese unter Vermeidung der gesetzlich vorgeschriebenen sog. „Frühzeitigen Information der Öffentlichkeit“ mit den Vorhabenträgern vertraulich schon so weit entwickelt hat, dass eine Einflussnahme betroffener Bürger faktisch nicht mehr möglich ist. Die Verwaltung beruft sich hierbei zu Unrecht auf die Möglichkeit betroffener Bürger, Einwendungen auch noch im Genehmigungsverfahren vorzubringen. Da dieses aber der frühzeitigen Information der Öffentlichkeit nachgeordnet ist (vgl. Addendum zum Leitbild), kommen diese wegen der mit dem Vorhabenträger bereits weitestgehend ausgehandelten Einzelheiten regelmäßig zu spät.
Die Erfahrungen von betroffenen Bürgern zeigen daher auch, dass ihre Einwendungen von der Stadt offenbar zur Sicherung ihrer Abreden mit dem Vorhabenträger pauschal zurückgewiesen werden.
Noch bedenklicher ist, dass die Stadt bei der Bewertung und Bescheidung von Einwendungen sogar auf zum Vorhaben- bzw. Bauträger gehörige Personen (wie Architekten- und Ingenieurbüros bzw. deren Anwälte) zurückgreift, deren Interesse ausschließlich auf die Rendite des Vorhaben- bzw. Bauträgerträgers, aber nicht auf das allein von der Stadt zu wahrende Schutzinteresse der Bürger gerichtet ist; was zugleich das Vorliegen einer unstatthaften Interessenkollision signalisiert.
Schon im Jahre 2004 verabschiedeten die Stadtväter und der Gemeinderat von Überlingen eine "Umwelterklärung für die kommunale Bauleitplanung" und erhielten für ihr "Umweltmanagementsystem für die kommunale Bauleitplanung" Preise für ihr "Eintreten für eine ökologisch orientierte Bauleitplanung und geordnete Landschaftsentwicklung". ECOLUP (Ecological Land Use Planning) und EMAS (Eco-Management and Audit Scheme) und Cittaslow (= Internationales Netzwerk lebenswerter Städte) waren die maßgeblichen Programme. Im Lichte der obigen Ausführungen erscheint es nun dringend erforderlich, diese Programme auch unter den neuen Anforderungen, z.B. bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, zu neuem Leben zu erwecken.
Auch weitere und ebenso altbewährte Stadtentwicklungsinstrumente wie z.B. die Altstadtsatzung, frühere GR-Beschlüsse oder von alters her in der Stadtpolitik verfolgte Ziele wie z.B. die aus guten Gründen für alle Zukunft festgelegten Anordnungen im gültigen Flächennutzungsplan u.a. zur Bewahrung von Park- und Gartenanlagen als Ausgleichs-, Kompensations- und Erholungsflächen, zur Freihaltung von Luftschneisen für die dringend nötige Belüftung der Kernstadt als heilklimatischem Kurort, aber auch von historisch oder baukulturell wichtigen Blick- und Sichtachsen in unserer geschichtsträchtigen Stadt blendet die Stadtplanung ebenso konsequent aus.
Daher überrascht es dann auch nicht mehr, wenn die Stadt die nicht nur im BauGB, sondern auch von der Landesregierung geforderte Bürgerbeteiligung, die für eine geordnete städtebauliche Entwicklung und dabei für eine Bürger und Mandatsträger umfassende konstruktive Grundhaltung in der Stadt und einen dementsprechenden Umgang miteinander sorgen soll, konsequent und sogar mit dem amtlich geäußerten Argument, dies sei nur Zeit- und Geldverschwendung, z.T. bewusst umgeht.
Das Verhalten der Stadt und ihrer Helfer erweckt den Eindruck, dass die Stadt aus dem derzeitigen politischen Druck zur Herstellung möglichst vieler, auch von Familien bezahlbaren Wohnungen, die Legitimation schöpft, die Umsetzung dieses Postulats allein durch schnelles und umfangreiches Bauen ohne jede Rücksicht auf die vielen anderen u.a. vom BauGB vorgeschriebenen „Haltelinien“ (vgl. Addendum) leisten und dabei sogar - die damit drohende Interessenkollision in Kauf nehmend - Planung und Ausführung weitestgehend Investoren und Großbaufirmen und deren Helfern überlassen zu dürfen.
Das Gesamtverhalten der Stadt, vertreten durch die Planungsabteilung, legt den Schluss nahe, dass ihr in einer Art „unheiliger Allianz“ mit den Investoren/Vorhaben- bzw. Bauträgern eine Einigung mit diesen ungleich wichtiger ist als die Betreuung berechtigter Bürgerinteressen.
Bürger, die sich gegen diese Vorgehensweise wehren und zum Teil in Nachbarschaftsgruppen engagieren, werden vermehrt angefeindet, als Störenfriede, als Geld- und Zeitverschwender oder als Personen / Gruppen, „die der Stadt schaden“ diffamiert.
Es darf nicht sein, dass die derzeitige offizielle Bauplanungspolitik unter auffälliger Förderung von Investitions- und Kapitalinteressen unter gleichzeitiger Zurückdrängung von Bürgerinteressen dazu führt, dass sich einst der derzeitige „Goldgräber“-Markt für Wohnimmobilien, gekennzeichnet durch marodierendes Anlagekapital und aberwitzige Preissprünge und ebensolcher Traumrenditen, über das in Jahrhunderten gewachsene Überlinger Stadtbild – dieses zerreißend - wie ein Flickenteppich von „Betongold“- Quartieren legt, wie der oben aufgelistete von der Stadt befürwortete Vorhabenkatalog bereits heute akut befürchten lässt.
Klar ist dabei schon jetzt, dass sich gerade Familien mit Kindern, für die die Stadt diese Quartiere bauen lässt, diese nie werden bezahlen können und damit weitere massive Leerstände entstehen. Es zeigt sich also, dass Ziel und Ergebnis der städtischen Bemühungen um preiswerte Wohnungen nicht zusammenpassen. Es braucht vielmehr eine grundlegende Neuorientierung des angeblich, aber mit untauglichen Mitteln verfolgten, auf Wohnungen für Familien ausgerichteten Konzepts.
Dazu ist es dringend erforderlich, dass das Stadtplanungsamt seine ureigene hohe Verantwortung für eine geordnete städtebauliche Entwicklung gegenüber der Bürgerschaft wiedererkennt und ihr auch im Zusammenspiel mit den Investoren und deren Baufirmen gerecht wird. Eine derart wieder gesetzestreu austarierte Städtebaupolitik, für die das BauGB ausdrücklich vorschreibt, „öffentliche und private Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen“ (vgl. Addendum) wird nicht nur die aufgeheizte Stimmung in der Stadt wieder befrieden, sondern letztlich auch – wie es andere Städte bereits bewiesen haben – den Wohnbedürfnissen von z.B. Familien mit Kindern besser gerecht werden können. Das beigefügte "Überlinger Leitbild für eine verantwortungsvolle Stadtentwicklung" enthält hierfür zahlreiche Anregungen.
Demokratie lebt davon, dass man die Bürger mitnimmt auf dem Weg, den man einschlagen möchte, dass man sie einbindet und sie wertschätzt. Andere Kommunen und Städte in Deutschland gehen diesen Weg mit Erfolg. Wir, die Initiatoren des Überlinger Leitbildes, möchten erreichen, dass auch unsere schöne Stadt Überlingen diesen Weg einschlägt und ihren liebens- und lebenswerten Charakter sowie ihren Bezug zum historisch gewachsenen Lebensraum behält.